Eine Woche mit Josip Juratovic in Berlin
Ein Bundestagsabgeordneter hat im Grunde zwei Arbeitsorte. Zum einen seinen Wahlkreis, wo er mehr als die Hälfte seiner Zeit verbringt. In meinem Fall ist das Heilbronn, wo ich mein Bürgerbüro habe, in dem ich zahlreiche Gespräche führe mit Bürger*innen und wo ich mir auch sonst jede Menge wichtige Anregungen und Kritik für meine politische Arbeit hole. Zum anderen trifft man mich ca. 22 Wochen im Jahr in Berlin an. Hier bin ich weit weniger frei in meiner Terminplanung, da die parlamentarischen Abläufe klar durchstrukturiert sind mit Fraktionssitzungen, Ausschüsse und Plenardebatten. Ich treffe aber auch Botschafter, Verbände, Organisationen und Universitäten. In diese Wochen arbeite ich 60 Stunden und mehr.
Montag:
Morgens fahre ich vom Flughafen aus direkt in mein Büro. In der Regel findet dort kurz nach meinem Eintreffen die Bürobesprechung statt. Sie ist zentral, da ich wir uns dort über Inhalte und Aufgaben der Woche austauschen, dazu kommen Bürgerbriefe und –begehren und deren Beantwortung. Danach geht es weiter in den erweiterten Fraktionsvorstand. Dort besprechen wir aktuelle politische Themen und Gesetzesentwürfe der kommenden Woche sowie strategische Vorgehensweisen. Abends treffen sich bei der Landesgruppensitzung alle SPD-Abgeordneten aus Baden-Württemberg, um landesspezifische Fragen zu erörtern.
Dienstag:
Es gibt oft bereits ab 8 Uhr Arbeitstermine. Die müssen um 9 Uhr aber immer vorbei sein, denn da Uhr beginnen die parteiinternen Arbeitsgruppen der Ausschüsse, denen die Abgeordneten angehören. Ich bin Mitglied der Ausschüsse für Außenpolitik und Verteidigung. In den AGs bereiten wir SPD-Abgeordnete die Ausschusssitzungen am Mittwoch vor. Wir diskutieren die Gesetzesvorlagen der Regierung, Änderungsanträge der Opposition und formulieren Fragen an Vertreter der Ministerien. Ich kümmere mich besonders um die Themen Südosteuropa und stabile Krisenprävention. Im Anschluss bespreche ich die Ergebnisse der Sitzung und die daraus resultierenden Aufgaben wie das Schreiben von Reden mit meinen Mitarbeitern. Dann habe ich Gesprächstermine, oder ich habe ein kurzes Zeitfenster zur Sichtung von Vorlagen und für wichtige Anrufe. Im Anschluss—um 15 Uhr—findet die Fraktionssitzung statt, in der alle 153 SPD-Abgeordnete die aktuellen politischen Themen sowie anstehende Gesetzesentwürfe beraten. Außerdem diskutieren wir, was wir als Fraktion in den Bundestag einbringen wollen bzw. wie wir uns bei verschiedenen Themen positionieren. Danach gehört die Zeit parlamentarischen Abendterminen, die mit meinen Fachthemen zu tun haben.
Mittwoch:
Am Mittwochmorgen um 9 Uhr finden die Ausschüsse statt. Hier beraten wir Anträge und Gesetzesentwürfe. Im Ausschuss wird die Sach– und Detailarbeit geleistet, bevor ein Gesetzentwurf zur endgültigen Abstimmung ins Plenum überwiesen wird. Um 13 Uhr beginnt dann z.B. eine Plenarsitzung mit Befragung der Bundesregierung. Die sogenannten Fragestunde wird von den Oppositionsparteien als Kontrollinstrument des Parlaments genutzt. Danach finden Parlamentariergruppen statt. In ihnen wird der Austausch zwischen nationalen Parlamenten gepflegt. Als Berichterstatter für Südosteuropa setze ich mich für die Entwicklung und EU-Annäherung des Westbalkans ein. Ich bin Vorsitzender der Parlamentariergruppe Südosteuropa und stellv. Vorsitzender der PG nördliche Adria sowie Vorsitzender des Gesprächskreises Südosteuropa. Abends finden erneut Veranstaltungen und Abendtermine statt.
Donnerstag:
Den ganzen Donnerstag über sind Plenardebatten. In der Kernzeit beginnend um 9 Uhr werden die wichtigsten Themen erörtert. Neben der Kernzeit nehme ich an Debatten teil, die meine Arbeitsbereiche betreffen. In der übrigen Zeit bereite ich Sitzungen vor, treffe Expert*innen und Botschafter*innen und erledige Büroarbeiten. Zwischendurch finden auch immer wieder namentliche Abstimmungen statt, für die man alles liegen lässt, um erneut ins Plenum zu eilen. Häufig finden Donnerstags Abends ebenfalls parlamentarische Abende statt, zu denen Verbände, NGOs, sowie Gewerkschaften und Kirchen einladen und über ihre Arbeit informieren. Hier erfahre ich konkrete Dinge aus der Praxis, die für meine politische Arbeit wichtig sind. Meine Veranstaltungen suche ich sorgfältig aus, damit ich viele Informationen über die von mir bearbeiteten Themen erhalte. Man muss auch eine umsichtige Wahl treffen, um sich in dem breiten Angebot für Abgeordnete nicht zu verlieren.
Freitag:
Termine ab 8 Uhr früh sind eher die Regel als eine Seltenheit. Freitags nehme ich um die Zeit am Gebetsfrühstück teil. Diese Begegnung ist fraktions– und konfessionsübergreifend, offen für alle Abgeordnete die im Glauben Stärke und Zuversicht finden. Hier hat man Raum, sich über ethische Fragen und Gewissenskonflikte austauschen, bevor mit einem weiteren Plenartag der letzte Tag der Woche eingeläutet wird. Dort stehe ich vor allem bei außen– und verteidigungspolitischen Themen für die SPD-Fraktion am Rednerpult. Meine Erfahrung als Friedenspolitiker, sowie meine Rolle als Obmann im Unterausschuss Zivile Krisenprävention hilft mir bei der Bewertung der zur Frage stehenden Anträge. Im Anschluss findet in der Regel noch eine Sitzung der Arbeitsgruppe Migration und Integration statt. In dieser Querschnittsgruppe diskutieren wir wie Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gelungen in unsere Gesellschaft integriert werden können. Im Anschluss an die Sitzung, reise ich zurück in den Wahlkreis und nehme am Wochenende in der Heimat zahlreiche Termine wahr.
Und wie erleben andere die Sitzungswoche des Abgeordneten?
Im März 2009 hat der Journalist Henry Doll aus Künzelsau Josip Juratovic eine Woche lang bei seiner Arbeit in Berlin begleitet. Über diese teilnehmende Beobachtung können Sie hier in seiner Reportage „Den Abgeordenten-Alltag unter die Lupe (und die Füße) genommen“ lesen.